Wie bereits erwähnt, habe ich das Auto am nächsten Morgen wieder abgeholt und bin einfach mal drauflosgefahren – grob in Richtung Südwesten. Die Strassen in England sind insgesamt in sehr gutem Zustand. Verlässt man jedoch die Autobahn, insbesondere auf Abschnitten mit Gegenverkehr, empfinde ich die Strassen als ziemlich schmal. Und da hier Linksverkehr herrscht, muss ich mich ständig darauf konzentrieren, nicht zu weit links in meiner Spur zu fahren.
Zum Glück hilft das Auto ein wenig mit: Die meisten Fahrzeuge und auch die Strassen sind mittlerweile so ausgelegt, dass sie sanft korrigieren, wenn man zu weit an den Rand gerät. Trotzdem passiert mir das gefühlt einmal pro Minute. Nicht weiter tragisch, aber es zeigt, wie tief die Programmierung in uns sitzt – rechts fahren ist einfach unser Standard. In der Schweiz sitzt das Steuerrad links, und man achtet darauf, mit der rechten Seite nicht den Strassenrand zu streifen. Hier ist es genau umgekehrt – und das hat mir mittlerweile schon zweimal Probleme bereitet. Das erste Mal war in Irland, als ich beim Rückwärtsfahren einen Telefonmast erwischt habe. Und das zweite Mal… nun ja, dazu komme ich später.
Ich fuhr also weiter Richtung Südwesten, leider bei ziemlich miesem Wetter. Es nieselte ununterbrochen, die Sicht war trüb, und der Himmel komplett bedeckt – nicht gerade motivierend, um viele Kilometer abzuspulen. Mein erstes Etappenziel war Neath, ein eher unscheinbares kleines Kaff. Bei Sonnenschein hätte es vielleicht etwas mehr Charme gehabt, aber so wirkte es auf mich recht trostlos.
Die Unterkunft dort war – sagen wir mal – abenteuerlich. Ohne Auto hätte ich keine Ahnung gehabt, wie ich den Ort überhaupt hätte erreichen sollen. Nach mehreren Anläufen und ein paar Nachfragen bin ich schliesslich angekommen: ein altes, typisch englisches Haus mit einem völlig überwucherten Garten, den man ohne Übertreibung als Dschungel bezeichnen könnte. Sogar die Haustüren waren teilweise vom Gestrüpp verdeckt. Wer nur in durchgestylten Boutique-Hotels schlafen kann, wäre schreiend davongerannt.
Begrüsst wurde ich von der Haushälterin – samt vier Hunden, einigen Katzen, Vögeln und noch ein paar anderen tierischen Mitbewohnern. Das Haus war nicht schmutzig, aber völlig überfüllt mit Gegenständen aus wahrscheinlich über hundert Jahren. Ein echtes Sammelsurium – chaotisch, aber mit Charme. Einige Fotos davon habe ich gemacht – sie geben einen ganz guten Eindruck.
Am nächsten Morgen ging es weiter. Das Wetter hatte sich zum Glück deutlich gebessert: kein Regen den ganzen Tag, und ab etwa 15 Uhr kam sogar die Sonne raus. Ich fuhr ganz in den Westen von Wales an die Küste. Dort waren tatsächlich einige Leute im Wasser – schwimmen, surfen… Brrr. Nichts für mich. Nach etwa einer Stunde an der sogenannten Pembrokeshire Coast fuhr ich weiter nordwärts der Küste entlang und kam schliesslich in Aberystwyth an – ein recht gepflegter Küstenort mit schöner Atmosphäre.
Dort hatte ich eine Übernachtung in einem hübschen alten Haus gebucht – gepflegt, stilvoll, alles bestens. Und genau dort passierte dann der oben angedeutete Vorfall.
Ich suchte das Hotel, das in einer Einbahnstrasse lag. Blöderweise fuhr ich etwa hundert Meter zu weit. Als ich merkte, dass ich eigentlich direkt vor dem Hotel hätte parkieren können, kam mir die (völlig bescheuerte) Idee, einfach die kurze Strecke rückwärts zu fahren – schliesslich war weit und breit kein Verkehr. Etwas, das ich NIE wieder tun werde. Denn wie schon damals in Irland schaute ich offenbar nicht richtig. Ich hörte plötzlich nur ein hässliches Quietschen – und schon waren fünf Leute zur Stelle, die mich direkt zurechtwiesen und mir unterstellten, ich wolle abhauen. Schön, wie schnell Menschen immer das Schlechteste über einen denken…
Ich hätte ihnen am liebsten gesagt, dass sie sich gefälligst raushalten sollen – aber ich liess es bleiben. Ich hatte sogar das Gefühl, die freuten sich ein bisschen, dass jemand ein Problem hatte. Einer der Anwesenden rief sofort die Polizei – was mir recht war, denn sonst hätte ich das selbst machen müssen. Und tatsächlich, fünf Minuten später stand der Streifenwagen da – mit Blaulicht!
Man bat mich, mein Auto am Strassenrand abzustellen und zu warten. Dann legten die „Zeugen“ los: Ich sei wahrscheinlich betrunken und hätte gleich drei Autos beschädigt. Um’s kurz zu machen: Es war genau ein Auto. Die anderen beiden hatten nicht den geringsten Kratzer. Die Polizei war übrigens sehr freundlich und professionell – sie hörten sich alles an und schickten die selbsternannten Hilfssheriffs recht bald weg. Ein Polizist begutachtete die Fahrzeuge und meinte, es gäbe keinen Anlass zu glauben, dass mehr als ein Auto beschädigt worden sei. Der Schaden war auch sehr gering – eine kleine Beule und etwas abgeplatzter Lack.
Soweit, so gut. Doch dann wurde es kurz brenzlig: Die Polizei kündigte an, dass sie nun meinen Führerschein prüfen würden – und anschliessend einen Alkohol- und Drogentest durchführen müssten.
In dem Moment bekam ich wirklich Angst. Ich sah mich schon im Gefängnis sitzen. Dabei hatte ich – wie so oft – einfach nur Glück:
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Da die Schweiz nicht zur EU gehört, haben Polizeibehörden anderer Länder keinen Zugriff auf die Führerscheindaten. Sie können lediglich prüfen, ob eine internationale Ausschreibung oder ein offener Haftbefehl vorliegt. Dass mein Führerschein in der Schweiz nicht mehr gültig ist, spielte hier keine Rolle.
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Der Alkoholtest war komplett unauffällig – 0.0 ‰, da ich seit fast zwei Wochen nichts getrunken habe.
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Der Drogentest verlief ebenfalls negativ. Mit einem kleinen Gerät wurde meine Zunge und die Innenseite der Backen abgestrichen – zehn Minuten später das Resultat: keine Drogen im Blut. Klar – ich nehme ja auch keine...
Und deshalb, so schwöre ich bei meinem Leben: Ich werde nie wieder rückwärtsfahren..😅😅