Wieder sind einige Tage ins Land gezogen – Tage, die sich still und unaufgeregt dahinschoben, ohne dass es etwas Besonderes zu berichten gegeben hätte. Und so kommt nun ein ganzer Abschnitt meines Unterwegsseins gebündelt und rückblickend – wie ein einziger, längerer Atemzug.
Die Reise im Schlafwagen von Bergen nach Oslo war, wie so oft, ruhig und angenehm. Solche Fahrten haben etwas Zeitloses – man steigt abends ein, legt sich schlafen, und am nächsten Morgen wacht man in einer anderen Stadt auf. Um ca. 06:30 Uhr kam ich in Oslo an, voller Erwartung, direkt weiter nach Stockholm zu fahren. Doch der Alltag auf Schienen belehrte mich schnell eines Besseren: In Bergen hatte man mir keinen Platz reservieren können, und ohne diesen ist eine Mitfahrt im Schnellzug nicht möglich. Ich nahm es gelassen – mein Plan war, die Reservation einfach in Oslo nachzuholen, immerhin hatte ich eine Stunde Zeit.
Aber wieder einmal zeigte sich: Reisepläne und Realität sind selten deckungsgleich. Das Ticket-Office öffnete erst um 07:30 Uhr – just in dem Moment, in dem der Zug abfuhr. Ein Umstand, der sich zunächst ärgerlich anfühlte, dann aber ohnehin irrelevant wurde, als kurz vor Abfahrt bekannt gegeben wurde, dass der Zug nach Stockholm ausfällt. Ich musste an die Deutsche Bahn denken und schmunzeln – offenbar ist das kein rein deutsches Phänomen.
Ich stellte mich also erneut in die Schlange, diesmal für ein Ticket um 11:30 Uhr – doch auch dieser Zug war restlos ausgebucht. Ebenso alle anderen nach Stockholm an diesem Tag. Ich versuchte es über Göteborg, über Kopenhagen – vergebens. Alles voll. Ein leiser Frust kroch in mir hoch, aber gleichzeitig auch diese vertraute Reise-Mentalität: improvisieren, weiterdenken, nicht stehen bleiben.
Schließlich riet man mir zum Bus. Zwar nicht durch Interrail abgedeckt, aber immerhin eine Möglichkeit, Oslo zu verlassen. Die Stadt war für mich in diesem Moment weniger Ort als Hindernis – teuer, blockiert, unbeweglich. Ich ergatterte eines der letzten vier Tickets nach Stockholm mit Flixbus – 64 Euro, ein akzeptabler Preis für die Freiheit, weiterzukommen. Um 11:30 Uhr ging es dann los.
Am Abend, gegen 19:00 Uhr, war ich in Stockholm. Ich checkte in ein 4-Bett-Zimmer im „Generator Hostel“ ein – preiswert, funktional, ohne große Erwartungen. Das Wetter war freundlich, sonnig, die Stadt wie immer schön – aber mein Bedürfnis, sie zu erkunden, war gering. Ich war schon oft hier. In solchen Momenten merke ich immer wieder: Ich bin am lebendigsten, wenn ich unterwegs bin. Der Reiz liegt für mich nicht im Verweilen, sondern im Vorankommen. Orte sind Etappen, keine Ziele.
Und so stellte sich bald die nächste Frage: Wohin als Nächstes? Ein drittes Mal ins Baltikum, das mir durchaus ans Herz gewachsen ist? Oder doch ein neuer Impuls? Ich entschied mich für Narvik – ein Ort, der in meiner Erinnerung fast mythisch verklärt war, denn mein letzter Besuch dort lag über fünf Jahrzehnte zurück, 1972.
Die Route dahin ist lang, aber größtenteils im Schlafwagen zu bewältigen. Ich reservierte ein 3er-Abteil bis Boden, und von dort aus ging es neun weitere Stunden im regulären Zug weiter. Die letzten Stunden der Fahrt sind ein Erlebnis für sich: Je näher man Narvik kommt, desto majestätischer wird die Landschaft. Schroffe Felsen, stille Seen, endlose Weiten – es ist, als würde man in ein anderes Kapitel der Welt eintreten.
Narvik selbst hingegen ist ernüchternd. Eine kleine, wenig spektakuläre Stadt. Aber an diesem Tag spielte das keine Rolle – das Wetter war herrlich, die Ankunft friedlich. Es war einer dieser seltenen Momente, in denen sich äußere Schönheit und innere Ruhe gegenseitig spiegeln. Leider schlug das Wetter am nächsten Tag um. Seither: trüb, nass, grau. Und doch liegt auch in dieser Melancholie eine gewisse Tiefe – man nimmt die Stimmung in sich auf, lässt sich davon durchdringen, fast wie ein Filter auf der Seele.
Heute jedoch passierte mir ein echter Dämpfer: Ich verlor meine Drohne. Nach etwa fünf Minuten Flugzeit – trotz vollgeladener Akkus – meldete sie, dass nur noch genug Energie für die Rückkehr übrig sei. Sie kehrte zwar um, aber offenbar nicht weit genug: Rund 300 bis 400 Meter entfernt landete sie notgedrungen irgendwo – und blieb verschwunden. Ich suchte stundenlang, obwohl die Fernbedienung die ungefähre Position anzeigte. Vielleicht hat sie jemand gefunden und mitgenommen. Vielleicht liegt sie da noch, unbemerkt. Vielleicht war es einfach Schicksal. Morgen werde ich zur Polizei gehen und nachfragen – so wie damals in Bergen, als meine Geldbörse abgegeben wurde. Man soll sein Glück nicht überstrapazieren – dieser Satz geht mir seit heute nicht mehr aus dem Kopf.
Ich war heute kurz am Bahnhof, um mein Rückfahrticket nach Stockholm zu sichern. Am Montag will ich zurückfahren – das Wetter hier lässt keine Besserung erkennen. Im Bahnhof dann die nächste Überraschung: Der heutige Zug nach Stockholm ist ausgefallen. Ich hoffe inständig, dass mir das nicht auch passiert. Denn 1'400 km mit dem Bus zu fahren, klingt in der Theorie nach Abenteuer – in der Praxis aber eher nach Strapaze.